Start      →    Reden      →    Rede Ostermarsch 2024

Mut zum Frieden: Wir brauchen auch Sie!

Wieso braucht es denn zum Frieden Mut?

Wir erleben nun seit mehr als zwei Jahren die merkwürdige Situation, dass wir mit dem Eintreten für Verhandlungen zwischen Russland und der Ukraine, für ein Ende des Tötens und Sterbens auf beiden Seiten, im medialen Abseits stehen und auf breiter Front verunglimpft werden. „Lumpenpazifisten“, „gefallene Engel aus der Hölle“ , sind noch freundlich. Wir müssen uns auch, obwohl wir den völkerrechtswidrigen russischen Angriff auf die Ukraine klar verurteilen, als „Putinknechte“ beschimpfen lassen, wenn wir auch die Vorgeschichte von Konflikten verstehen wollen.

Denn Kriege kommen nicht aus heiterem Himmel.

Hintergründe beleuchten bedeutet nicht Gewalt zu rechtfertigen. Sehr wohl stimmt aber, dass für eine Explosion erst einmal Pulver angehäuft werden muss. So entspringt der abscheuliche Terror der Hamas gegen völlig unbeteiligte Israelis, darunter viele Pazifist-inn-en, dem angesammelten Hass aus Jahrzehnten der Vertreibung, Unterdrückung und Diskriminierung der Palästinenser. Aber er kann dadurch in keiner Weise gerechtfertigt werden! Ebenso wenig kann der Hamas-Terror rechtfertigen, die gesamte Zivilbevölkerung im Gaza-Streifen jetzt seit Monaten in einem beispiellosen Rachefeldzug mit unsäglichem Leid zu überziehen, Hunger als Waffe einzusetzen und sogar zu verhindern, dass humanitäre Hilfe die Menschen erreicht. So viel Differenzierung muss schon sein. Aber wer vor einem Genozid in Gaza warnt, gilt hierzulande schon als Antisemit! Es ist natürlich genauso unsäglich, die Verbrechen der Netanjahu-Regierung allen Juden anzulasten.

Ebenso ist Differenzieren beim Ukraine-Konflikt nötig.

Ohne die Vorgeschichte, die Einschränkung der Rechte der russischen Minderheit in der Ostukraine nach dem Putsch auf dem Maidan, ohne die bewaffneten Angriffe auf den Donbas seit 2014, die Zehntausende von Toten schon vor dem russischen Einmarsch forderten, ohne die angestrebte Mitgliedschaft der Ukraine in der Nato, die seit 2019 in der Verfassung der Ukraine steht, ohne den Bruch des Minsker Abkommens, ohne das Massaker im Gewerkschaftshaus von Odessa, ohne diese Vorgeschichte wäre der russische Angriff im Februar 22 nicht zu erklären.

Aber das alles rechtfertigt ihn natürlich nicht!

Unsere Journaille treibt seit Beginn des Krieges die Politik mit Forderungen nach immer mehr Waffenlieferungen vor sich her. Kritische Nachfragen gehen immer nur in eine Richtung: warum nicht mehr Waffen? warum nicht schneller? Nie wird hinterfragt, welchem strategischen Ziel das alles dienen soll, ob man nicht mit immer mehr Waffen den Krieg befeuert, wo eigentlich die rote Linie ist, hinter der Deutschland zur Kriegspartei wird.

Bundeskanzler Scholz musste sich unlängst rechtfertigen, warum er weiter dabei bleibt, den Taurus nicht zu liefern und er erklärte stolz: „Wir haben als Deutsche fast alle gefährlichen Waffen als Allererste geliefert“. Und nun sollen diese Waffen sogar zu einem direkten Angriff auf russisches Territorium eingesetzt werden dürfen.

Besonnenere Stimmen werden sogleich mit Hass und Häme überzogen, so z.B. der SPD-Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Rolf Mützenich, der nur “darüber nachdenken“ wollte, „wie man einen Krieg einfrieren und später auch beenden kann“.

Nichts anderes hatte der Papst neulich gemeint, als er der Ukraine riet, sie solle den Mut haben, eine "weiße Fahne" zu hissen: "Schämt euch nicht, zu verhandeln, bevor es noch schlimmer wird.(…) Verhandeln ist niemals ein Sich-Ergeben. Es ist der Mut, das Land nicht in den Selbstmord zu führen.“ Sogar der Papst wurde daraufhin aufs Übelste beschimpft.

Wer so etwas sagt, stellt sich ins Abseits. Wirklich? Es gibt offenbar einen gewaltigen Unterschied zwischen der veröffentlichten Meinung und der öffentlichen Meinung, der Meinung der Bürgerinnen und Bürger. Trotz einer Dauerpropaganda auf allen Kanälen zeigen sich diese erstaunlich wenig angesteckt. In Umfragen fordert eine deutliche Mehrheit mehr diplomatisches Bemühen auch von deutscher Seite. Die Befürworter einer Lieferung von Taurus sind in der Minderheit!

Die Mehrheit will diesen Krieg nicht! Aber wenn sie schweigt, geht das Morden weiter.

Finden Sie: „Man kann ja eh nichts tun. “? Verhandeln wäre schön, aber in dem Fall sei es sinnlos ? Aber die Abkommen von Minsk belegen, was möglich gewesen wäre, um den Konflikt zu vermeiden. Vor allem gab es im März 2022 eine Einigung beider Seiten auf Wiederherstellung des Status vor dem Krieg, den Rückzug der russischen Truppen gegen den ukrainischen Verzicht auf einen Nato-Beitritt. Damit hätte der Krieg nach einem Monat zu Ende sein können, hätte der Westen nicht die Unterschrift der Ukraine verhindert.

Der Krieg hätte sehr wahrscheinlich überhaupt vermieden werden können, wenn die Nato nicht im Dezember 2021 und noch im Februar 2022 Verhandlungen mit Russland über den Nato-Beitritt der Ukraine abgelehnt hätte.

Auch heute liegen Vorschläge für Verhandlungslösungen vor. Der Ukraine-Konflikt ist von der Sache her sogar weit einfacher lösbar als der Jahrzehnte schwelende Israel- Palästina-Konflikt. Putin hat seine Verhandlungsbereitschaft mehrfach erklärt, man sollte ihn beim Wort nehmen. Und Zelensky könnte sehr leicht an den Verhandlungstisch gebracht werden, indem der Westen seine weitere Unterstützung davon abhängig machen würde.

Finden Sie es auch gut, dass so viele für Demokratie und gegen rechts auf die Straße gehen? „Nie wieder Faschismus“ bleibt wichtig, aber doch auch: „Nie wieder Krieg !“ Stattdessen sollen wir jetzt „kriegstüchtig“ werden. Kinder sollen in den Schulen für den Krieg statt für den Frieden erzogen werden. Mitten in unserer Stadt soll eine neue „Heimatschutz“-Kompanie für den Krieg üben! Wer unsere offene Gesellschaft erhalten will, kann sich doch an so etwas nicht gewöhnen wollen!

Finden Sie auch, dass westliche Werte verteidigt werden sollten? Aber wie kann es dann sein, dass Streumunition schon in Ordnung geht, wenn grade nichts anderes zur Verfügung steht? Obwohl die Bundesrepublik das Abkommen über das Verbot von Streumunition unterzeichnet hat? Die Kinder - in Russland oder in der Ukraine, oder sonstwo, egal! - die diese Munition später mal für Spielzeug halten und davon zerfetzt werden, lernen heute grade laufen.

Haben Sie Kinder oder Enkelkinder? Müssten Sie dann nicht dagegen aktiv werden?

Sind Sie in einer Gewerkschaft? Im Oktober 1983, auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzungen um den Nato-Doppelbeschluss forderte der DGB- Bundesvorstand dazu auf, für fünf Minuten die Arbeit niederzulegen als Zeichen gegen weltweite Aufrüstung. Kolleginnen und Kollegen, aufrechte Sozialdemokraten, wir vermissen euch heute in der Friedensbewegung!

Oder halten Sie Frieden immer noch für einen zentralen Begriff liberaler Überzeugungen? Wie ertragen Sie dann eine Marie-Agnes Strack-Zimmermann, die nicht einmal einen Hehl aus ihrer engen Verbindung zu Rheinmetall macht?

Sind Sie eine Christin, ein Christ? Müssten nicht alle Christen für Frieden auf Erden aktiv werden? Jesus empfiehlt in der Bergpredigt, unsere Feinde zu lieben. Aber soweit muss man ja gar nicht gehen. Man muss noch nicht einmal Pazifist sein.

Nehmen wir an, Sie waren am Anfang dafür, die angegriffene Ukraine zu unterstützen, damit sie aus einer Position der Stärke verhandeln könnte. Aber spätestens jetzt ist doch klar, dass die Zeit für Verhandlungen gekommen ist, damit nicht völlig umsonst noch weitere Hunderttausende sterben. Es herrscht ein militärisches Patt, nur die Zahl der Toten steigt ständig.

Und wenn die Russen dann nach dem Baltikum greifen und das alte Zarenreich wiederauferstehen lassen wollen? Abgesehen davon, dass sich Russland dann ganz allein mit der Nato anlegen würde, was spricht für eine solche Mutmaßung? Umgekehrt wird ein Schuh draus. Eugen Drewermann erklärt dazu: „Manches spricht dafür, dass manche in den USA gar nicht DEN Russen fürchten, sondern den Plan des Russen Gorbatschow, dem wir die Wiedervereinigung verdanken: Entmilitarisierung vom Ural bis zum Atlantik. Im Jahre 1989 lag der Friede fertig auf dem Tisch. Aber ein Wirtschaftsraum von Lissabon bis Wladiwostok, Frieden zwischen Deutschland und Russland hätte das Ziel einer unipolaren amerikanischen Weltherrschaft gefährdet. Das galt es zu verhindern, mit immer neuen Kriegen, die vom Westen ausgingen und Millionen Menschen in Tod und Elend stürzten, die Zahl der Nato-Staaten aber von 16 auf inzwischen 32 erhöhten und die Militärausgaben, 800 Milliarden Dollar allein in den USA, das Zehnfache des Rüstungshaushalts Russlands, in allen Mitgliedsstaaten ins Astronomische emportrieben.“

Wer hat denn eigentlich ein Interesse daran, dass die Kriege immer weiter gehen?

Wer gewinnt dabei? Sie müssen nur beim Lesen der Nachrichten eigene Schlüsse ziehen: die gerade im Bau befindliche Munitionsfabrik von Rheinmetall in Unterlüss im Landkreis Celle soll ab nächstem Jahr zunächst 50.000 Artillerie-Granaten herstellen, 2026 dann 100.000, später 200.000 pro Jahr. Und natürlich nur unter der Bedingung von staatlichen Abnahmegarantien. Denn es wäre ja nicht auszudenken, wenn auf einmal Frieden ausbricht und die Dinger nicht mehr gebraucht werden!

Gehören Sie zu den Menschen, die sich um die Erde sorgen? Das Militär ist, sogar wenn kein Krieg ist, der größte Klimakiller. Mit 5 % der globalen Wirtschaftsleistung könnte man die Klimakatastrophe noch verhindern. Man müsste aber die Militärausgaben deutlich senken.

Wir brauchen unsere Ressourcen, unsere Energie, unser Wissen, unsere Kreativität für die globalen Herausforderungen: Klima, Umwelt, soziale Gerechtigkeit im globalen Maßstab!

Fanden Sie deswegen die Grünen gut? Inzwischen muss man sie an ihre eigenen Überzeugungen erinnern! Waffen nicht in Krisengebiete zu liefern, dafür warb Baerbock noch im Bundestags-Wahlkampf. Aber in Kriegsgebiete offenbar schon… Petra Kelly dreht sich im Grabe herum! Antje Vollmer bringt es in ihrem Vermächtnis „Was ich noch zu sagen hätte“ auf den Punkt: “Wer die Welt wirklich retten will, diesen kostbaren einzigartigen wunderbaren Planeten, der muss den Hass und den Krieg gründlich verlernen. Wir haben nur diese Zukunftsoption.“

Sind wir Kriegspartei?

Schauen wir kurz zurück. Der Westen hatte in der Ukraine schon vor dem Krieg längst die Finger im Spiel, bereits 2014 mit der Forderung, sich zwischen Russland und der EU zu entscheiden, dann beim Putsch auf dem Maidan. Westliche Waffen wurden im Donbas eingesetzt, Blackwater war beim Angriff der ukrainischen Armee auf den Flughafen in Donezk im Mai 2014 beteiligt. Allein 2021 wurden 6 Militärmanöver mit ausländischer Beteiligung in der Ukraine abgehalten und die Präsenz von bis zu 4000 US- und Nato-Soldaten zugelassen.

Nach dem russischen Angriff stand die Frage: Gelingt es der Ukraine, die Nato mit in den Konflikt zu ziehen? Der ehemalige EU-Kommissar Günther Verheugen im August 2023 dazu: „Es ist doch offensichtlich, dass die Ukraine verzweifelt versucht, dass das Engagement des Westens und der Nato die Grenze zur direkten Intervention überschreitet. Das hätte die direkte Auseinandersetzung der beiden Super- Atommächte zur Folge und wäre der Schritt in den Abgrund.“

Unsere unsägliche Außenministerin Annalena Baerbock hatte schon im Januar 2023 geplappert: „Wir sind im Krieg mit Russland.“ Jetzt gibt es Spekulationen aus Frankreich, Tschechien und dem Baltikum über den Einsatz von Bodentruppen. Und Bundeskanzler Scholz überschreitet, ungeachtet wiederholter russischer Drohungen vor einer massiven Antwort, eine weitere, diesmal tiefrote Linie:

Mit deutschen Waffen sollen nun auch Ziele in Russland direkt angegriffen werden können! Gibt es eine Steigerung von brandgefährlich?

Das Bulletin of atomic scientists stellt die Uhr zum allerersten Mal auf wenige Sekunden vor 12. Das heißt: wir sind einem Atomkrieg so nahe wie nie zuvor. Sind Sie in dieser Situation vor lauter Angst gelähmt? Sie haben absolut Recht mit ihrer Angst, aber es gibt nur den einen Ausweg: jetzt zu handeln. Aufrechte Demokraten, engagierte Gewerkschafter-innen, überzeugte Sozialdemokraten, ehrliche Liberale, gläubige Christen, kritische Köpfe, Menschen, denen etwas an der Erde und dem Überleben der Menschheit liegt, und auch diejenigen, die sich völlig zu Recht fürchten, wir brauchen euch!

Denn es gilt das Wort von Erich Fried: „Solange nicht der Untergang der Menschheit hundertprozentig feststeht, lohnt es sich, dagegen zu arbeiten. “

Bremerhavener Initiative „Mut zum Frieden“

Wir treffen uns jeden Freitag von 16 bis 17 Uhr zu einer Mahnwache vor der „Großen Kirche“.

Kommen Sie gern dazu!

V. i. S. d. P.: Helga Bories-Sawala